Amazon, Google, Netflix und Co. haben ihre Branchen revolutioniert. Sie betreiben Plattformen, besetzen damit die Kundenschnittstelle und degradieren frühere Marktführer zu Zulieferern. Steht diese Disruption auch dem Gesundheitswesen bevor? Welche weiteren Veränderungen sind möglich? Nachstehend sollen mögliche Antworten auf diese Fragen skizziert und Trends aufgezeigt werden, die auf Individuen, Anbieter und die Schnittstelle dazwischen einwirken. Diese sind auch in der folgenden Abbildung zusammenfassend dargestellt:
Patienten werden zu Kunden und wirken vermehrt mit
In Zukunft wird das Gesundheitssystem vermehrt auf die Bewahrung der Gesundheit und nicht nur auf die Heilung von Krankheiten fokussieren. In der Prävention entwickeln sich die Patienten zu Kundinnen und Kunden. Ihnen kommt eine aktivere Rolle zu und ihre Bedürfnisse bestimmen die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Sie kümmern sich vermehrt um ihr Wohlbefinden und wirken dafür in Prävention, Diagnose und Behandlung ihres eigenen Körpers mit. Die Pflege der Gesundheit erfolgt damit permanent und überall. Sie wird demokratisch.
Potenzial für Disruption an Kundenschnittstelle steigt
Die oben beschriebene Mitwirkung basiert auf Gesundheitsinformationen, die dank Digitalisierung immer besser und individualisierter zur Verfügung stehen. Tesla baut heute bereits für jedes produzierte Auto einen digitalen Zwilling, der eine computerisierte Abbildung des Fahrzeugs darstellt. Dieser Klon erhält permanent Daten von seinem physischen Original und steht jederzeit für Simulationen von Korrekturmassnahmen und zur Optimierung von Weiterentwicklungen zur Verfügung. Es wird noch einige Zeit dauern, bis komplette digitale Zwillinge von Menschen verfügbar sind. Bereits jetzt werden aber immer mehr Kundendaten gesammelt und mit KI verbunden, um Prävention, Diagnose und Behandlung optimieren zu können. Dem «Besitzer» des Kundenzugangs und der Kundendaten kommt damit eine immer gewichtigere Position zu. Es ist wahrscheinlich, dass er künftig die Zulieferketten dominieren wird, wie es heute z.B. Buchungsportale tun. Eine Disruption des gesamten Gesundheitswesens ist in diesem Kontext möglich.
Transformations- und Kooperationsbedarf bei den Anbietern nimmt zu
Die Entwicklung der Patienten zu Kundinnen und Kunden führt zu erhöhtem Wettbewerb für die Institutionen des Gesundheitswesens. Es werden vermehrt innovative, hochwertige und individualisierte Produkte und Dienstleistungen gefordert. Dank kostenlosen und einfachen Vergleichsmöglichkeiten unterliegen alle Angebote zudem einem hohen Preisdruck. Alle Anbieter sind damit gezwungen, schnell in der Transformation zu sein, um rasch auf ändernde Kundenbedürfnisse agieren oder diese sogar gestalten zu können. Ebenso müssen sie untereinander kooperieren, um die Kunden auf Basis einer «Joint Value Proposition» zu betreuen und einen eindringenden potenziellen Monopolisten an der Kundenschnittstelle abzuwehren. Entscheidend ist es, dass Anbieter den direkten Zugang zu den Individuen und ihren Daten behalten können. Je kooperativer Daten geteilt werden, desto besser sind zudem die Entscheidungsgrundlagen und die Resultate zum Wohl der Kundinnen und Kunden.
Neue Herausforderungen verlangen neue Kompetenzen
Alles in allem lässt sich festhalten, dass das Gesundheitswesen sich somit je länger je mehr zu einem vernetzten Ökosystem wandelt. Diese Transformation verlangt von allen Stakeholdern neue Fähigkeiten und Denkweisen, um Wettbewerb und Kooperation in Balance denken und erfolgreich leben zu können. Unsere Initiative im allgemeinen und das Advanced Management Program in Health Care Transformation im speziellen sollen die zur Gestaltung der oben erwähnten Transformation nötigen Kompetenzen im Gesundheitswesen stärken. Als strategischer Partner für das Management Development möchten wir einen Beitrag leisten, die Weiterentwicklung der Schweizer Gesundheitswirtschaft und ihrer Führungskräfte zu fördern.
PD Dr. Christian Erk, Dr. Ariel Hugentobler
Weiterführende Literatur
- Bradley, C. & O’Toole, C. (2016): An incumbent’s guide to digital disruption, McKinsey Quarterly.
- Downes, L. & Nunes, P. (2013): Bing-Bang Disruption, Harvard Business Review.
- Frick, K., Bosshart, D. & Breit, S. (2020): Next Health: Einfacher durch das Ökosystem der Gesundheit, Studie im Auftrag von sminds AG, GDI Gottlieb Duttweiler Institute.
- Frick, K. & Schäfer, Ch. (2020): Apotheke 2030, Neue Modelle für ein Traditionsgeschäft, Studie im Auftrag von pharmaSuisse, GDI Gottlieb Duttweiler Institute.
- Mühlhausen, C. & Dettling, D. (2020): Patient und Partizipation – die zukünftige Welt der Gesundheit jenseits von Corona, NZZ.